Ich habe mich etwas schwer getan damit, von den Korinthern Abschied zu nehmen. Die Auseinandersetzung mit den beiden Briefen bewegte mich und nahm mich mitten hinein. Loslassen konnte ich sie erst, als mir bewusst wurde, dass Paulus in Korinth war, als er den Röm schrieb. Also während seines in 2 Kor 12,14 und 13,1 angekündigten dritten Besuches in Korinth.

Damit erhalten wir doch noch einen Anhaltspunkt, wie es mit der Gemeinde in Korinth weitergegangen war. Aus der Tatsache, dass Paulus den Kopf frei hatte, dieses Stück Weltliteratur zu verfassen, dürfen wir schliessen, dass er die Dinge vor Ort regeln konnte.

Darüber hinaus gefällt mir der (nicht zu belegende) Gedanke, dass die Herausforderungen in Korinth, Paulus zu dieser gedanklichen Schärfe verholfen haben könnten. So wäre diese anstrengende Gemeinde für alle kommenden Generationen zum Segen geworden, weil Paulus in der Auseinandersetzung mit ihr seine Theologie derart geschärft hatte, dass der Röm in dieser vollkommenen Form überhaupt möglich wurde. Kein theologischer, aber ein schöner Gedanke 😇.

Sind es nicht oft die herausfordernden Zeiten, welche unseren Glauben schärfen?

Wie anders präsentiert sich nun die Gemeinde in der Hauptstadt des Weltreichs, “denn in der ganzen Welt spricht man von eurem Glauben.” (V8). Dies war nicht bloss Verdienst des Pastors oder der Leiterschaft. Das “in der ganzen Welt” war Auswirkung einer Gemeinde, welche das ‘allgemeine Priestertum’ verstanden hatte: Dass jede Christusnachfolgerin Mittlerin zwischen Gott und Menschen ist mit dem Auftrag zur Versöhnung.

Das Wort, welches in V14 mit “… bin ich verpflichtet” übersetzt wird, heisst wörtlich “… bin ich ein Schuldner“, im Sinne von ‘Schulden haben bei ihnen’. Ein sehr starker Begriff, mit dem Paulus seine Haltung veranschaulicht.

Nicht dass die Menschen Paulus etwas ausgeliehen hätten, was er ihnen nun zurückgeben müsste. Sondern dass Gott ihm (uns!) etwas anvertraute, das er den Menschen schuldig bleibt, wenn er es ihnen nicht austeilt. Paulus muss den den Menschen nicht gefallen. Aber er tritt definitiv nicht wie ein Gläubiger auf, der den Menschen sagt, wo es lang geht.

Ich kann mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass viele Missionare gut daran getan hätten, sich diese Haltung zu verinnerlichen –  sie sollte auch uns als leuchtende Leitlinie dienen!

Dass dieses Verständnis nicht zu einer laxen Haltung führt, verdeutlichen die folgenden – sehr bekannten – Verse. Die geistliche Spannkraft ist nur gewährleistet, wenn wir an beiden Enden des Bogens fest verbunden sind: Paulus ist Schuldner und überhebt sich nicht, gleichzeitig weiss er um die allein-rettende Kraft des Evangeliums und schämt sich seiner nicht.

Die Vermutung dürfte zulässig sein, dass dort, wo ich mich des Evangeliums noch schäme, ich mir seiner Kraft nicht bewusst bin.

JULI 2020/VON MARCEL BERNHARDSGRÜTTER